Offener Brief an alle Mitglieder des Fachbereiches Sozialökonomie und alle Interessierten zu den Budgetkürzungen der Orientierungseinheit am Fachbereich Sozialökonomie um 60 Prozent
Sicherlich haben Sie/hast du bereits mitbekommen, dass die alten Studiengebühren nicht mehr als Haushaltsmittel für den Fachbereich zur Verfügung stehen und infolgedessen das Budget der Orientierungseinheit (OE) extrem gekürzt wurde: Aus diesen Geldern wurden über viele Semester hinweg größtenteils die OE im BA SozÖk (aber auch die OEn der Masterstudiengänge des Fachbereichs) finanziert. Eine Mehrheit des Fachbereichsvorstands hat allerdings beschlossen, den Wegfall dieser finanziellen Mittel nicht zu kompensieren. Es wurde entschieden, stattdessen das Budget der OE um circa 60 Prozent (von 30.000 Euro/OE auf 12.500 Euro/OE ab OE-SoSe 18) zu kürzen, obwohl es einen Beschluss des Akademischen Senats aus dem Jahr 2012 gibt, der besagt, dass eine OE (die von Studierenden für Studierende durchgeführt wird) durch Mittel der Fakultäten ausfinanziert werden muss, was nicht zur inhaltlichen Einflussnahme führen darf.
Diese 30.000 Euro/OE werden mindestens benötigt, um die fünftägige OE in ihrer bisherigen Form zu realisieren. Nur so kann das didaktisch sinnvolle Konzept der Arbeit in Kleingruppen – bei 300 zugelassenen Studierenden in mindestens 10 Kleingruppen á zwei Tutor*innen – umgesetzt werden, denn bei einem Budget von 30.000 Euro entfallen circa 23.000 Euro auf Personalkosten, sofern man, wie – bis einschließlich WiSe 17/18 – mit 70 bezahlten Arbeitsstunden für Tutor*innen kalkuliert. Das restliche Budget wird für Material- und Druckkosten, sowie für das didaktische Wochenende benötigt. Pro Teilnehmer*in kostete die OE den Fachbereich, bei einem Budget von bisher 30.000 Euro, gerade einmal 100 Euro pro Teilnehmer*in. Ab diesem Semester ist man also nur noch bereit circa 42 Euro pro Teilnehmer*in auszugeben.
Allerdings reichen diese 70 bezahlten Stunden nicht, um den realen Mindestarbeitsaufwand der OE-Tutor*innen abzudecken. Durch Präsenszeit in der OE-Woche – inklusive Vor- und Nachbereitung – von mindestens 50 Stunden, Präsenszeit auf dem Didaktischen Wochenende zur Vorbereitung, Vor- und Nachtreffen von mindestens 40 Stunden sowie zusätzliche Vorbereitungszeit im 2er-Tutor*innenteam von mindestens 10 Stunden, sind es mindestens 100 Arbeitsstunden, die jede*r OE-Tutor*in aufbringt. Damit ignoriert die Universität den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,84 Euro Brutto/Zeitstunde. OE-Tutor*innen erhalten aktuell, bei einem realen Zeitaufwand von 100 Stunden, gerade einmal 2,73 Euro pro Zeitstunde.
Der Kürzung ist ein langer Prozess voraus gegangen: Oft wurde dazu im Ausschuss für Lehre und Studium (LuSt) des Fachbereichs „diskutiert“. Allerdings wurden hier Scheinkonflikte geführt, bei denen formale Sachzwänge als Begründung für die Kürzungen genannt wurden. Von vorne herein wurde uns immer wieder signalisiert, dass ein Entgegenkommen (z. B. 25.000 Euro/OE) nicht einmal zur Debatte steht.
Mittlerweile sind wir davon überzeugt, dass die Budgetkürzung dazu dienen soll, dass die OE inhaltlich verflacht, allmählich ausblutet und zu einer dieser unrühmlichen Studieneingangsveranstaltungen verkümmert, wie es sie viel zu häufig an Universitäten gibt – ein offenes Gespräch darüber wurde leider nie zugelassen. Worin unserer Meinung nach die Angst vor der OE besteht, haben wir bereits im Januar in einem Flugblatt ausformuliert, dass wir Ihnen/dir ebenfalls mitsenden.
Dieses Ausbluten funktioniert mittel- und langfristig, denn letztendlich ermöglicht die Entlohnung der Tutor*innen erst ihre Mitarbeit am OE-Prozess, denn so kann man z. B. unbezahlten Urlaub bei der Lohnarbeitsstelle ausgleichen (70 Prozent der Studierenden sind auf Lohnarbeit mit durchschnittlich 10h/Woche angewiesen), um aktiv den Fachbereich mitgestalten und die neuen Kommiliton*innen begrüßen zu können. Ist dies nicht mehr möglich, kann man sich entweder gar nicht mehr als OE-Tutor*in engagieren oder Inhalte fallen mittelfristig hinten über.
Außerdem wurde vom LuSt-Ausschuss eine „AG OE“ eingesetzt, in der OE-Tutor*innen sowie Gremienmitglieder unterschiedlicher Mitgliedergruppen zu dem Thema beraten sollten. Die studentischen Vertreter*innen wollten diesen Ort nutzen, um gemeinsam zu überlegen, wie mitgliedergruppenübergreifend für die Ausfinanzierung der OE gekämpft werden kann. Dazu war man aber nicht bereit. Andere Mitglieder dieser „AG OE“ wollten sich lediglich dazu austauschen, wie man die OE an das neue Budget anpassen könne. Das funktioniert aber nicht! Mit einem so geringen Budget lässt sich eventuell eine x-beliebige OE umsetzen, aber nicht die OE bei uns an der Sozialökonomie, wenn sie weiterhin unserer heterogenen Studierendenschaft gerecht werden soll.
Wir sind überzeugt, dass Orientierung einen Anstoß zur Entwicklung gibt und nicht bedeuten kann, dass man gemeinsam möglichst viel Alkohol konsumiert, nebenbei ausschließlich formal den Studienaufbau referiert, historische Entwicklungen nicht kontextualisiert bzw. nicht ihre Auswirkungen auf heutige Rahmenbedingungen reflektiert und maximal am Rande vermittelt, dass unsere Gesellschaft – und damit auch unsere Universität – von allen gemeinsam zu gestalten ist. All das, was gute Orientierung ausmacht, ist nur möglich, sofern Raum für die inhaltliche Befähigung und methodische Vorbereitung von Tutor*innen geschaffen und finanziert wird. Die OE basiert auf einem didaktischen Konzept, das sich an bewährten Seminarmethoden aus der Politischen Jugendbildungsarbeit orientiert. Die Erfahrung hat gezeigt, dass dieses den Herausforderungen und unterschiedlichsten Teilnehmenden am besten gerecht wird. Die OE besteht somit nicht aus einzelnen Bausteinen, die man beliebig weglassen (oder durch Hörsaalveranstaltungen ersetzen) kann, um so vermeintlich ein paar Euro zu sparen.
Das heißt aber nicht, dass die OE nicht kontinuierlich weiterentwickelt wird. Jedes Semester aufs Neue setzen sich zehn neue und zehn alte Tutor*innen (und die studentische OEKoordination) intensiv damit auseinander, die OE zu verbessern, Fakten zu aktualisieren und auf neue Entwicklungen zu reagieren. Dies basiert auch auf Anregungen von Teilnehmenden, da die OE jedes Semester online evaluiert wird und in der OE-Woche Feedbackrunden durchgeführt werden. Selbstverständlich sind wir auch bereit uns mit Lehrenden darüber auszutauschen, wie die OE verbessert werden kann oder wie man Lehrende besser in die OE einbinden kann. Das kann aber nicht unter dem Vorwand der Kürzungen passieren, sondern ist ein davon losgelöster Prozess.
Wir haben bisher über 500 Unterschriften gegen die OE-Kürzungen gesammelt, die wir in der Januarsitzung des Ausschusses für Lehre und Studium übergeben haben und an einen Beschlussantrag knüpfen wollten. Der Beschluss hätte besagt, dass der LuSt-Ausschuss des Fachbereichs sich der Petition anschließt und die Umsetzung an den entsprechenden Stellen in der Uni einfordert. Leider wurde der Tagesordnungspunkt mit fünf Gegenstimmen und zwei Enthaltungen nicht einmal zugelassen. Die Petition durfte stattdessen zu stark fortgeschrittener Zeit nur kurz unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ vorgestellt werden. Beschließen darf man unter diesem Tagesordnungspunkt nichts. Der LuSt-Ausschuss hat somit die Forderungen von über 500 Personen mehrheitlich ignoriert und somit zum Ausdruck gebracht, dass Ihnen die Meinung von Professor*innen im Ruhestand, aktuell Lehrenden sowie vielen (ehemaligen) Kommiliton*innen egal ist. Nicht einmal der Kontroverse wurde sich gestellt.
Diese Ignoranz ist Ausdruck eines elitären Verständnisses der akademischen Selbstverwaltung und einer Geringschätzung der demokratischen Hochschule, wie es in der Vergangenheit immer öfter studentischen Vertreter*innen von professoraler Seite in Gremien – und auch darüber hinaus bspw. mit exklusiven Professorien anstatt Fachgebietssitzungen im Schwerpunkt BWL – entgegengebracht wurde.
Uns reicht es nun endgültig! Mit diesem offenen Brief fordern wir Sie/dich auf, gemeinsam mit uns für die Ausfinanzierung der OE einzustehen, den Konflikt über die OE offen zu führen und zu diskutieren. Dazu kann man die Petition (wieder) unterzeichnen (www.openpetition.de/!hwp) und Unterschriftenlisten in den Büros und Lehrveranstaltungen auslegen. Auch ist es eine Möglichkeit E-Mails an den Fachbereichssprecher (sebastian.spaeth@wiso.uni-hamburg.de) und die Dekanin der WiSo-Fakultät zu senden (dekanin@wiso.uni-hamburg.de) und das Thema OE-Kürzungen in Flurgesprächen zu thematisieren. Wir sind überzeugt, dass es richtig ist die Debatte ab jetzt öffentlicher zu führen. Dieser offene Brief ist der erste Schritt dazu, aber es wird sehr wahrscheinlich nötig sein, weitere und kreativere Schritte folgen zu lassen. Solidarisieren Sie sich/Solidarisiere dich spätestens dann mit unserem Anliegen und über 500 weiteren Menschen, die eine inhaltsvolle, kritische und geschichtsbewusste OE als Teil bewusster Fachbereichskultur einfordern.
Mit kollegialen Grüßen
Ihr/Dein FSR Sozialökonomie und aktive Studierende rund um die OE-Kürzungen
Für Rückfragen, Anregungen und die Bereitstellung von Unterschriftenlisten sind wir per EMail erreichbar: fsr-sozoek@uni-hamburg.de. Ausgefüllte Unterschriftenlisten können im FSR SozÖk (B129) abgegeben werden.
Hier auch als pdf: Offener Brief_OE-Kürzungen