Wir möchten unsere Eindrücke von dem vergangenen Schui-Symposium mit euch teilen:
Im November 2017 haben wir uns auf dem Symposium in Erinnerung an Herbert Schui unter dem Motto » … alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.« (Marx) mit der Perspektive nach der neoliberalen Hegemonie beschäftigt. Wir haben uns dabei mit den aktuellen ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen wie der Entwicklung von Gegenperspektiven zum Neoliberalismus (Wirtschaftsdemokratie, Alternative Wirtschaftspolitik), der Einheit von Frieden und Sozialem angesichts der Krise der EU, einem wirksamen Handeln gegen Rechts in internationalem Austausch sowie der Gestaltung von Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung auseinandergesetzt.
Auf dieser Seite findet ihr dazu
- Fotos,
- einen ersten Bericht über das Symposium, veröffentlicht in der Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung,
- sowie die Video-Dokumentation der Vorträge auf dem Symposium.
Viel Spaß beim reinschauen und vertiefen!
Ein erster Bericht des Schui-Symposiums: Veröffentlicht in Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 113 (März 2018), S. 170ff
» … alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.«
Perspektive nach der neoliberalen Hegemonie – Bericht vom Symposium in Erinnerung an Herbert Schui
Auf Einladung der Fachschaftsräte Sozialökonomie und Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg, Norman Paechs, Florian und Ute Schuis fand vom 24. bis 26.11.2017 am Fachbereich Sozialökonomie, der ehem. Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP), das Symposium in Erinnerung an Herbert Schui mit insgesamt ca. 230 BesucherInnen statt.
Ausgehend von der These einer massiven Hegemoniekrise des Neoliberalismus, in der „das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann“(Gramsci), wurde bei dem Symposium nach Wegen zu einer neuen Hegemonie gefragt, darauf zielend „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (Marx). Dies kann als Leitlinie des Wirkens des am 14.8.2016 verstorbenen Herbert Schui gefasst werden. Als Mitgründer der Memorandum-Gruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“ sowie von WASG/LINKE und als Professor an der HWP griff er persönlich für eine keynesianisch-marxistische Alternative und gegen Ideologie und Praxis des Neoliberalismus ein. Auf dem Symposium wurde daran (in Verbindung von Partei, Gewerkschaft und Wissenschaft) angeknüpft.
Beim Auftaktpodium sahen Lucas Zeise (DKP, ehem. „Financial Times Deutschland“) und Klaus Ernst (IG Metall, LINKE) den Neoliberalismus zwar ideologisch am Ende, politisch jedoch fester im Sattel denn je. Aus dem Plenum wurde entgegnet, dass das Kapital ein hegemoniales Entwicklungsprojekt für stabile Herrschaftsverhältnisse brauche, ein solches jedoch nicht in Sicht sei. Ernsts Plädoyer für oppositionelle Gewerkschaften und breite gesellschaftliche Bündnisse für den „Kampf ums Teewasser“(Brecht) ließ sich in der Diskussion mit der von Zeise betonten Notwendigkeit der Revitalisierung der Sozialismus-Perspektive verbinden.
Den anschließenden Kulturabend gegen Intellektuellenfeindlichkeit gestaltete Olaf Walther (Journalist) mit bissigen Texten gegen Opportunismus, Leistungsideologie und Antikommunismus (Tucholsky, Ossietzky) sowie für Aufklärung, Emanzipation und diesen verpflichteter eingreifender Wissenschaft (Brecht, Goethe).Werner Goldschmidt (HWP-Prof. i. R. für Soziologie) eröffnete den Samstag mit einer Kritik des Neoliberalismus als politisch-sozial-ökonomischem Gesamtkonzept, der sich aktuell in einer unverhüllt reaktionären Phase befände. Durch Steuersenkung, Privatisierung, Sozialstaatsabbau sowie Flexibilisierung, Deregulierung und Individualisierung sei der Sozialtypus des „homo neoliberalissimus“ hervorgebracht worden, dessen „Freiheit“ nur diejenige der Arbeit von Bürokratie unter Profitzwang sei. Er plädierte dagegen für widerständige und solidarische Eigeninitiative und die positive Wendung von Abwehrkämpfen: für (den Kampf für) Commons als reale Utopien, auch zur Herausbildung eines neuen kooperativen Habitus.In der anschließenden Workshop-Phase wurde ein emanzipatorischer Keynesianismus als Ausgangspunkt für die Überwindung des Kapitalismus diskutiert. In einem Lektürekurs mit Florian Schui (Prof. für Wirtschaftsgeschichte, St. Gallen) wurde einem marxistischen Keynesianismus nachgespürt, dessen systemüberwindende Potentialität in der Senkung der Profitrate, der Einschränkung der Kapitalmacht und der Abschaffung der Erwerbslosen-Reservearmee gesehen wurde. Die Workshops zur Memorandum-Gruppe mit Rainer Volkmann (HWP-Dozent i. R.) und zu offensiver Gewerkschaftspolitik mit Wolfgang Räschke (IG Metall Salzgitter-Peine) beleuchteten diesen Zusammenhang in den Bereichen der alternativen Wirtschafts- und Gewerkschaftspolitik. In der Diskussion wurde die Schuldenbremse als ein Instrument der neoliberalen Zurichtung entlarvt, deren Überwindung ein entscheidender Wendepunkt wäre.
Das von Schui et al. 1997 publizierte Buch „Wollt ihr den totalen Markt? – Der Neoliberalismus und die extreme Rechte“ bildete den Anknüpfungspunkt für den Themenblock „Wirksam gegen Rechts handeln“. Die Mitautorin Stephanie Blankenburg (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung) bekräftigte die Aktualität des Buches und ergänzte anhand einer aktuellen UNCTAD-Studie die sozialökonomische Entwicklung zum Rentier-Kapitalismus als Grundlage des Erstarkens der Rechten. Dieser Zentralisierung der Marktkapitalisierung durch ein „Business des Plünderns“ und Machtasymmetrie zwischen Unternehmen und Staat müsse durch einen Rückgriff auf Bewährtes begegnet werden, nämlich durchexpansive Fiskalpolitik und Reichtumssteuern, Internationalismus (Steuerkooperation, Umschuldung) und politische Organisierung: „Don‘t mourn, organize!“
In der darauf folgenden Workshopphase analysierte Sebastian Chwala (Politikwissenschaftler) die Situation in Frankreich zwischen Front National und France Insoumise, Kristian Glaser (Redaktion „Hamburg Debatte“) nahm das reaktionäre Menschenbild der AfD als Re-Aktion auf Errungenschaften der „68er“ auseinander und Patrick Schreiner (Publizist) fragte danach, warum Menschen den Neoliberalismus eigentlich mitmachen. Die Antwort wurde von letzterem darin gefunden, dass die „Unterwerfung als Freiheit“ mittels Esoterik, Casting-Shows etc. im Alltagsverstand verankert werde. In der Diskussion wurde verabredet, eine Perspektive verallgemeinerbarer widerständiger Subjektivität anhand der Frage „Warum Menschen sowas nicht mitmachen?“ zu erarbeiten.
Das Abendpodium suchte nach der Einheit von Frieden und Sozialem als Antwort auf die Krise der EU. Fabio De Masi (LINKE, ehem. EU-Parlamentarier) berichtete anekdotisch aus dem Inneren der EU-Technokratie über die neoliberale DNA der EU-Verträge und ihre undemokratische Verfasstheit. Die durch Austeritätspolitik nach innen betriebene Repression fände ihr Pendant in der Militarisierung der Außenpolitik der EU, wies Norman Paech (HWP-Prof. i. R. für Völkerrecht) anhand militärischer Aktivitäten in Afrika unter dem Deckmantel der „Entwicklungsarbeit“ und der Vorbereitung einer EU-Armee (PESCO) nach. Die Friedensbewegung müsse dem entgegen in internationaler Solidarität besonders gegen die Mentalität des Militärischen vorgehen.
Am Sonntag rundete eine Diskussion über die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft und das Beispiel der HWP die Konferenz ab. Torsten Bultmann (BdWi) analysierte eine drohende Implosion des Wissenschaftssystems durch Unterfinanzierung und Unternehmerische Hochschule (Autokratie, Drittmittelabhängigkeit, Exzellenz„strategie“), wogegen sich Widerstand an der Schnittstelle von Wissenschaftskritik und sozialen Bedingungen formiere (z. B. Abschaffung des Lehrstuhlprinzips): Zivilklauselbewegung, Mittelbau-„Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“). Rainer Volkmann entwickelte ein arbeitnehmerorientiertes Wissenschaftsverständnis, das in Alternativen und Interessen denkt und einen Begriff von Gesellschaft und Geschichte umfasst: „Hungriger, greif nach dem Buch: es ist eine Waffe.“(Brecht). Realisiert war dies in der HWP bspw. in ausgiebigen Projektstudiums-Zusammenhängen und einem interdisziplinären Kurs „Gewerkschaftswesen“.
In der Abschlussrunde wurden die Herausforderungen festgehalten, die Frage nach der Verfasstheit des kollektiven und je subjektiven Klassensubjekts stärker zu stellen und die Ökonomie(theorie) zu (re)politisieren. Es brauche (Alltags-)Organisierung, Geschichtsbewusstsein und die Einheit von Politik, Gewerkschaft und Wissenschaft. Ideen für Konsequenzen waren Folgekonferenz(en), Wiederauflage der Bücher Herbert Schuis und Übersetzung des Buchs „Wollt ihr den totalen Markt?“ ins Englische. Mit dem PapyRossa Verlag ist bereits ein Tagungsband fest geplant, der noch 2018 erscheinen soll.
Veröffentlicht in Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 113 (März 2018), S. 170ff
Weitere Informationen: http://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de
Video-Dokumentation
Begrüßung durch Franziska Hildebrandt (FSR Sozialökonomie) und Sinah Mielich (FSR Erziehungswissenschaft):
„Wo stehen wir? Eine sozialökonomische und politische Bestandsaufnahme“ Diskussion mit Klaus Ernst (IG Metall, DIE LINKE) und Lucas Zeise (Chefredakteur „UZ“, ehem. „FTD“):
„Kritik des Neoliberalismus als politisch-sozial-ökonomisches Gesamtkonzept und eine Gegenperspektive“ Vortrag und Einstiegsdiskussion mit Werner Goldschmidt (Prof. i. R. für Soziologie, HWP):
„Die ideologische Allianz von Neoliberalismus und der extremen Rechten“ Vortrag und Einstiegsdiskussion mit Stephanie Blankenburg (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, UNCTAD):
„Antwort auf die Krise der EU: Die Einheit von Frieden und Sozialem“ Diskussion mit Fabio De Masi (ehem. Europaabgeordneter der LINKEN) und Norman Paech (Prof. i. R. für Völkerrecht, HWP):
„Cui Bono? Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung und das Beispiel der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP)“ Diskussion mit Rainer Volkmann (Dozent i. R. für VWL, HWP) und Torsten Bultmann (Politischer Geschäftsführer Bund Demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, BdWi)
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