Besetzungserklärung

Erklärung zur Besetzung des Normalbetriebs des Fachbereichs Sozialökonomie/ ehemalige Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik 

Diese Verhältnisse sind besetzt. Studierende des Fachbereichs Sozialökonomie haben sich dazu entschieden das Gebäude dieses Fachbereichs anzueignen. Die Maßnahme ist nötig, um den zermürbenden und einnehmenden Alltag zu stoppen und Raum für die bewusste Gestaltung von Universität in die Verantwortung der Studierendenschaft und Aktiven zu schaffen. Die finanziellen Kürzungen von ca. 60 Prozent und das damit beschlossene langfristige Ausbluten der kritischen Orientierungseinheit („OE“, studentische Einführungswoche für Erstsemester*innen) an unserem Fachbereich liegen dieser Aktion als Anlass zugrunde, stehen aber darüber hinaus exemplarisch für eine (Hochschul-)Politik der Austerität und Entbehrung, für das neoliberale Alltagsrennen im Hamsterrad, diesem gilt unser grundsätzlicher Widerstand. 

Unsere OE steht dagegen für eine gemeinsame Befähigung zum kritischen Eingreifen in Wissenschaft und Gesellschaft und muss daher als Keim für eine Befähigung zur Veränderung erhalten, verteidigt und somit ausfinanziert werden. Die OE wirkt als kulturelles Vorbild an unserem Fachbereich, wohin wir gesellschaftliche und universitäre Strukturen entwickeln wollen: Hin zu Hochschulen, die sich bspw. auf Seiten der Beschäftigten für mehr Pflegepersonal in Krankenhäusern einsetzen statt den akuten Personalnotstand vermeintlich neutral und scheinbar „wissenschaftlich objektiv“ zu legitimieren. Zu Hochschulen, in denen anhand gesellschaftlicher Schlüsselkonflikte das wissenschaftlich-politische Eingreifen gelernt wird statt arbeitsmarktkonforme Leistungspunkte-Sammelmaschinen auszuspucken. 

DEMOKRATIESIERUNG 

Entscheidungen werden in der aktuellen „Unternehmerischen Hochschule“ stark nach dem Top-down-Prinzip getroffen. Die Orientierungseinheit wirft die Frage der Veränderbarkeit akademischer und gesellschaftlicher Strukturen auf und leistet so einen Anstoß zur Gestaltung einer demokratischen Universität durch alle Mitgliedergruppen. Wir streiten für Demokratie als Alltagsprinzip und in Gremien von unten nach oben mit gleichem Stimmrecht für alle Mitgliedergruppen. 

STUDIENREFORM 

Der aktuelle akademische Alltag ist die organisierte, modularisierte Belanglosigkeit. Gegen die Verschulung und Formalisierung unseres Studiums durch die restriktiven, vereinzelnden und arbeitsmarktorientierten Strukturen des Bachelor-Master-Systems, nehmen wir uns in der Orientierungseinheit die Zeit um ein zusammenhängendes, solidarisches und diskursives Verständnis von Bildung und Wissenschaft mit den neuen Studierenden zu entwickeln. Auf der Grundlage streiten wir für unbegrenzte Prüfungsversuche, Masterplatzgarantie und Gesellschaftsveränderung als Lernziel. 

SOZIALE LAGE VERBESSERN 

Wir wehren uns gegen eine Studien- und Wissenschaftsorganisation der psychischen Dauerbelastung aller Unimitglieder und gegen eine allgemeine Gesellschaftsorganisation hin zum kollektiven Burnout. Wenn 70 Prozent der Studis im Schnitt zehn Stunden die Woche lohnarbeiten müssen und selbst die wenigen BAföG-Empfänger*innen mit 250€ Wohnpauschale abgespeist werden, ist an ein sinnvolles, nämlich inhaltlich tiefgehendes und exemplarisch reflektierendes, Studium nicht zu denken. In der OE reflektieren wir unsere politisch hergestellte soziale Prekarität und befreien uns so von der Einrede, diese sei unsere Schuld, um uns gemeinsam zu organisieren. Insgesamt streiten wir für bedarfsdeckendes BAföG, elternunabhängig und als Vollzuschuss, öffentlichen Wohnraum und ticketlosen HVV. 

AUSFINANZIERUNG ZUM ERHALT KRITISCHER WISSENSCHAFT 

Seit Jahrzehnten werden Hochschulen unterfinanziert, um sie gefügig zu machen. Seit der Zwangsintegration der HWP in die Universität Hamburg wurden die Professuren von 48 auf aktuell noch 29 reguläre Professor*innen in unserem Fachbereich zusammengestrichen. An der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mussten in der letzten Kürzungsrunde 30 Professuren gestrichen werden. An der gesamten Hochschule sind aktuell 29 Prozent der zur Verfügung stehenden 

Mittel temporär, im Jahr 2020 werden alle Rücklagen aufgebraucht sein. Unter diesem allgemeinen Kürzungsdruck, der aktuell durch die sog. Schuldenbremse argumentativ legitimiert werden soll, fallen die kritischen Bereiche die sich gegen einen vermeintlich objektiven Wissenschaftsmainstream stellen immer zuerst weg. So soll es nun unserer OE an den Kragen gehen. Dieser Angriff auf die OE ist in diesem Fall ein Angriff auf das gemeinsame Erarbeiten von Sozialökonomie als Wissenschafts- und Lehrkonzept, sowie dessen Kernelement: die Lösung (praxis-)relevanter Probleme. 

Um eine solche zielgerichtete Wissenschaft zu organisieren, benötigen wir zeitliche und finanzielle Grundlagen, die dies ermöglichen. Die bedarfsgerechte Finanzierung ist dabei nicht Selbstzweck, sondern Grundlage der Ermöglichung, dass studentische Tutor*innen für die Vermittlung dieser Inhalte geschult werden können. Deshalb stellen wir uns mit dem Kampf um den Erhalt einer solchen OE und mit der Entwicklung von Lehralternativen wie einem Themensemester explizit gegen die Verhinderung substanzieller Bildung durch die chronische Unterfinanzierung von Wissenschaftsstätten unter Berufung auf die „schwarze Null“ und gegen eine kontinuierliche Unterspülung der Grundlagen unseres einzigartigen interdisziplinären Fachbereichs mit offenem Hochschulzugang (bspw. sichtbar an der Schrumpfung des Fachgebiets Recht). 

WIR SIND NICHT ALLEIN 

Der Kampf für allgemeinwohlorientierte öffentliche Einrichtungen und gegen die Politik der Austerität ist international. Aktuell versucht der französische Präsident Macron die neoliberale Agendapolitik in unserem Nachbarland zu kopieren. Gegen die Kürzungen im öffentlichen Dienst, weitreichende Privatisierungspläne, Steuersenkungen für Reiche und verschärfte Selektion beim Hochschulzugang sind dort aktuell Millionen Menschen in Streikauseinandersetzungen und zahlreiche Hochschulen besetzt. Wir solidarisieren uns mit den Kolleg*innen und Kommiliton*innen in Frankreich! Die Austeritätspolitik ist ein Exportprodukt aus Deutschland, auch deswegen sind unsere Kämpfe eng verbunden. 

FAZIT 

Wir werden nicht akzeptieren, dass durch die finanziellen Kürzungen (von ca. 29.000€ auf ca. 12.500€ je Semester) das Kleingruppen- und Seminarkonzept als Selbstaneignung der Studieninhalte begraben wird. Diese OE steht exemplarisch für eine allgemeine Entwicklungsrichtung, in die wir universitäre Bildung verändern wollen. Wir kämpfen für die OE als kulturellen Gegenpol gegen den demoralisierenden Status Quo und als akademische Institution mit inhaltlicher Signalkraft für die Studienorganisation an unserem Fachbereich und unserer Universität. Nicht zuletzt müssen wir so den kritischen Stachel der HWP-Vergangenheit des Fachbereichs als Anregung für heutige Verbesserungen erhalten. Die OE muss in aktueller Ausgestaltung erhalten und erweitert werden, um als konstant präsenter Spiegel des gesellschaftlich Möglichen wirksam zu sein. 

Daher fordern wir: 

1. Die sofortige Wiederaufstockung der Mittel für die Orientierungseinheit auf 30.000€ pro Semester 

2. Die bedarfsgerechte Finanzierung der Hochschulen (Neuverhandlung der „Hochschulvereinbarung“) und aller öffentlichen Einrichtungen, damit auch die Abschaffung der Schuldenbremse. 

3. Eine gemeinsame Diskussion zu einer kontinuierlichen Studienreform zur Verbesserung der Studien- und Lehrbedingungen, zur Verbesserung der sozialen Lage, zu Demokratisierung und Ausfinanzierung der Hochschulen und zur Weiterentwicklung der Sozialökonomie an der Uni Hamburg. 

-Wir wollen mit dieser Besetzung des universitären Normalbetriebs einen Anstoß zu einer gemeinsamen Entwicklung eines gesellschaftlichen Wandels geben. Schließt euch an, streitet in euren Institutionen für eine demokratische Neuorientierung und gestaltet Aktionen gegen den verkrusteten und zermürbenden Status Quo- 

 

Hier auch als pdf: Besetzungserklärung