Cui bono? Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung und das Beispiel der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP)

Diskussion mit Torsten Bullmann und Rainer Volkmann 

„Allgemeine Bildung ist notwendig. Sie ist (und sie war stets) eine wichtige Voraussetzung für Opposition.“ Mit diesem Gedanken beginnt Herbert Schui das letzte Kapitel seines im Jahr 2014 veröffentlichten Buchs „Politische Mythen und elitäre Menschenfeindlichkeit“. Genau deswegen sind die Bildungseinrichtungen heftig umkämpft: Geht es um Opposition und damit Emanzipation, oder dominiert dagegen der marktkonforme Anpassungsdruck?

In Folge der „68er“ dominierte kritische und demokratische Wissenschaft, die am Interesse der Bevölkerung orientiert arbeitet. Damit wurden tendenziell die Hoffnungen und Konsequenzen der Befreiung vom Hitler-Faschismus 1945 aufgegriffen und verwirklicht. Im „Blauen Gutachten“, das im Jahr 1948 für den Wiederaufbau des Hochschulwesens in Norddeutschland veröffentlicht wurde, ist das so gefasst:  „Wir glauben, dass Hochschulbetrieb nur soweit gerechtfertigt ist, als er Dienst am Menschen bleibt. (…) Menschliches Leben ist gemeinsames Leben von verantwortlichen Personen in der Welt. Nur als Teil dieses Lebens ist die Hochschule gerechtfertigt.“

Dies nahm sich auch die als „Akademie für Gemeinwirtschaft“ 1948 von Gewerkschaften, Genossenschaften und SPD gegründete Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) vor: geforscht wurde gewerkschaftsnah und eingreifend, die Hochschulorganisation gehörte zu den demokratischsten der BRD, forschendes Lernen war in interdisziplinären Projektstudiumszusammenhängen realisiert, es gab eine vitale Kultur eigenständiger Forschung(sförderung) und unzählige Studierende entwickelten sich mit offenem Hochschulzugang jenseits vorgefertigter Bahnen.

Gegen das Betreiben von Wissenschaft zum Allgemeinwohl richtet sich die neoliberale Konterreform, zugespitzt nach 1989. Die neoliberale Ideologie der „unternehmerischen Hochschule“ hat allerlei konkurrenzschürende Instrumente (vgl. Exzellenzstrategie und Bachelor-Master) in die Wissenschaft unter Ausnutzung der politisch hergestellten Unterfinanzierung gedrückt, um diese in den Dienst von Partikularinteressen zu stellen. Als symbolträchtige Aktion dafür wurde die HWP 2005 in die Uni Hamburg vom Schill-Senat zwangsintegriert. Die neoliberale Ideologie ist gescheitert, und dennoch weiterhin eingeschrieben in die Wissenschaftspolitik und -institutionen sowie -praktiken. Doch die Unzufriedenheit und Kritik unter Hochschulmitgliedern wächst.

Wie machen wir also der „unternehmerischen Hochschule“ nun endgültig den Garaus? Vor dem Hintergrund der am Wochenende diskutierten Vorhaben, gegen die Austerität und gegen Rechts für Demokratie, Frieden und soziale Gleichheit zu wirken, fragen wir uns: Was macht Wissenschaft zum Allgemeinwohl aus? Was können wir dafür aus der Geschichte für die aktuellen Auseinandersetzungen lernen? Wie reaktualisieren und realisieren wir das humanistische Bildungsverständnis nach dem Neoliberalismus? Dazu spricht insbesondere Torsten Bultmann.

Als Konsequenz aus der Forschungs- und Lehrpraxis der HWP kann festgehalten werden: Gesellschaftliche Verantwortung verlangt eine Vorstellung von (Struktur und Interessenlagen von) Gesellschaft. Sozialwissenschaften beinhalten das Denken in Alternativen, um Entscheidungen als politisch begründet zu erkennen. Ein wichtiges Lehr- und Lernziel ist das Begreifen der Interessensbindung gegen den Mythos des Sachzwangs. Und „Pluralismus“ ist eine richtige Forderung, darf aber nicht in Beliebigkeit abgleiten. Vor diesem Hintergrund stellt sich Rainer Volkmann die Fragen: Wer sind die Adressaten der Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung? Die Rekrutierung von Forschungsthemen: „Pendeln“ zwischen den Welten? Wie kann die Kritikfähigkeit von Studierenden befördert werden? Was ist systemimmanent erreichbar? Muss auf „Verständlichkeit“ von Forschung und Lehre geachtet werden? Ist „arbeitnehmerorientierte Wissenschaft“ ein Orientierungspfad? Dazu wird Rainer Volkmann seine Gedanken und möglichen Antworten darlegen.

Zitate aus Herbert Schui: „Gefährliche Halbbildung. Über die rabiate Mittelmäßigkeit eines entkultivierten Bürgertums.“ Online abrufbar (mit Onlineabo der jungenwelt): https://www.jungewelt.de/artikel/292241.gef%C3%A4hrliche-halbbildung.html?sstr=Schui

 

Torsten Bultmann wurde 1954 geboren, studierte Geschichte, Germanistik und Pädagogik, arbeitete lange in der Studierendenbewegung (u.a. MSB Spartakus) und interessiert sich auch heute noch zäh für Hochschulpolitik. Aktuell ist er Politischer Geschäftsführer des Bunds demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi).
Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu Problemen der Bildungspolitik und Hochschulentwicklung, unter anderen: Zwischen Humboldt und Standort Deutschland (Marburg 1993); Die standortgerechte Dienstleistungshochschule (in: PROKLA 104/1996); Hochschule in der Ökonomie (Marburg 1999; zusammen mit Rolf Weitkamp); Kritische Wissenschaften im Neoliberalismus (Marburg 2005); Prekarisierung der Wissenschaft (Berlin 2008, Hrsg.).

Rainer Volkmann: Dozent an der ehem. Hochschule für Wirtschaft und Politik sowie bis heute Lehrbeauftragter für Alternative Wirtschaftspolitik am Fachbereich Sozialökonomie. Deputierter für die LINKE in der Finanzbehörde der Stadt Hamburg. Veröffentlichungen u.a.: „Beschäftigungspolitik! Argumente zur Neubelebung einer demontierten Strategie, Schriftenreihe der Hochschule für Wirtschaft und Politik, Band 6, Hamburg.“Abschiedsvorlesung „Vom Verlust des Politischen – VWL in unserer Zeit“ (2012): https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/l/3997 Langjähriger Flur-Nachbar von Herbert Schui an der HWP.

Sonntag, den 26.11.2017, von 10:00 – 12:00 Uhr